Während der zweiten Phase unseres Kooperationsprojekts mit CDTM (Center for Digital Technology and Management) wurden Treiber für die zukünftige Entwicklung der Bauwirtschaft identifiziert. Treiber sind Faktoren, die die Zukunft des Bauens bestimmen und in der Regel exogen für eine Organisation sind. Identifizierte Treiber werden mit bidirektionalen, extremen Ergebnissen modelliert. Die folgende Matrix ordnet die identifizierten Treiber für die Bauwirtschaft nach Einfluss und Grad der Unsicherheit ein. Basierend auf diesen Dimensionen wurden zwei relevante Faktoren ausgewählt, die zur Erstellung von vier extremen Zukunftsszenarien verwendet werden: Individualisierung und Fragmentierung.
Unter dem Begriff der Marktstruktur versteht man diejenigen Merkmale eines Marktes, die das Verhalten und die Resultate der auf diesem Markt tätigen Unternehmen beeinflussen. Die wichtigsten Aspekte, die Marktstrukturen bestimmen, sind: die Anzahl der Marktteilnehmer, sowohl Verkäufer als auch Käufer; ihre relative Verhandlungsstärke in Bezug auf die Fähigkeit, Preise festzulegen; der Grad der Differenzierung und Einzigartigkeit von Waren und Dienstleistungen; und die Leichtigkeit des Markteintritts und -austritts. Ein wesentlicher Einflussfaktor wird ausgewählt, um die Szenarien der Bauwirtschaft im Jahr 2050 darzustellen,nämlich die Anzahl der Bauunternehmen auf dem Markt.
In diesem extremen Szenario ist die Bauindustrie vollständig fragmentiert. Nach einem Bericht des Weltwirtschaftsforums 2016 war die europäische und insbesondere die deutsche Bauwirtschaft schon immer stark fragmentiert. Der Grad der Fragmentierung in der Bauwirtschaft dürfte sich bis 2050 weiter verschärfen. Es gibt kein Unternehmen mit Marktdominanz aufgrund der großen Zahl von Unternehmen, so dass jedes von ihnen nur einen relativ niedrigen und instabilen Marktanteil hat. In diesem Fall ist der Wettbewerb hart und preisgetrieben, und Investitionen in Forschung und Entwicklung nehmen ab.
In diesem extremen Szenario ist die Bauwirtschaft mit zwei oder drei großen Bauunternehmen,die über 90% des Gesamtmarktanteils ausmachen, voll konsolidiert. Kleine Unternehmen bleiben in Nischen zurück, ohne wirklichen Einfluss auf den Gesamtmarkt. Neue Marktteilnehmer haben keine Chance, mit den etablierten Unternehmen zu konkurrieren. Da ein Machtgleichgewicht zwischen den großen Unternehmen entsteht, kann eine Expansion nur vertikal durch die Integration aller Geschäftsprozesse fortgesetzt werden. Die “Gewinner” werden entweder durch Fusionen und Übernahmen oder durch natürliche Expansion mit dem Vorteil von Effizienz und hoher Reputation gebildet. Es gibt einen intensiven Wettbewerb zwischen den Giganten, aber die großen Unternehmen sind angesichts der globalen Veränderungen und Entwicklungen nahezu unempfindlich.
Der technologische Fortschritt hat es Unternehmen ermöglicht, die Bedürfnisse und Entscheidungen der Kunden zu analysieren und mit ihnen individuell zu kommunizieren, anstatt ein ganzes Kundensegment anzusprechen. Kollaborative Gestaltungswerkzeuge und additive Fertigungstechnologie reduzieren Zeit und Kosten und ermöglichen so eine schnelle Umsetzung von Änderungen, was zu mehr Produktvariationen führt.Daher beschreibt Individualisierung die Integration von Kundenpräferenzen in die Produktionsprozesse. Auf diese Weise können Individuen mit Objekten verbunden werden, die ihren persönlichen Stil oder ihren Lebensstil widerspiegeln.Im Kontext des Bauwesens bezieht es sich auf den Grad der Kundenintegration in die Produktion von Materialeinheiten für Wohn-, Gewerbe- und öffentlich genutzte Einheiten.
In einem vollständig individualisierten Szenario wird jedes Projekt an die jeweiligen Kundenwünsche angepasst. Der Bauprozess ist hochgradig automatisiert und kann jederzeit modifiziert werden. Die Rolle der Menschen verschiebt sich weg von der Produktion selbst hin zu gestalterischen Aufgaben, was zu einer Vielzahl von Designs führt, die aus einer endlosen Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten ausgewählt werden. Volle Individualisierung beinhaltet mehr iterative Zyklen und unterstreicht die Notwendigkeit des Menschen für den daraus resultierenden Bedarf an mehr Kommunikation. Dieses Szenario wird hauptsächlich durch den Wunsch nach Selbstverwirklichung, Ästhetik und Funktionalität getrieben, ausgedrückt durch die Nachfrage nach seltenen Materialien, einzigartigen Merkmalen und außergewöhnlichen Designs.
In einem vollständig standardisierten Szenario sind Zweckmäßigkeit und Effizienz die wichtigsten Faktoren für das Produktdesign. Die ständig wachsende Bevölkerung in städtischen Gebieten in Verbindung mit der Ressourcenknappheit wird die Notwendigkeit von Kosten- und Flächeneffizienz erhöhen. So entstehen auf Platzersparnis optimierte Modulgebäude, die in Größe, Form und Farbe identisch sind. Durch bereits bestehende Infrastrukturen wie 3D-Modellen und Materialbeschaffung können Skaleneffekte und langfristige Lieferantenbeziehungen zur Steigerung der Zeit- und Kosteneffizienz genutzt werden.
Szenario Matrix
Die beiden Haupttreiber und ihre Ergebnisse bilden eine Szenario-Matrix. Jeder Haupttreiber repräsentiert eine der Achsen, mit gegensätzlichen Ergebnissen an den jeweiligen Enden. Alle vier Szenarien basieren auf extremen Ergebnissen der beiden Haupttreiber. Plausible und konsistente Ergebnisse anderer wichtiger Treiber werden in jedes Szenario einbezogen, aber nicht in die Extreme getrieben. Geschichten von Personas, die einen Tag im Jahr 2050 erleben, werden verwendet, um sich die Szenarien vorzustellen.
Dieses Szenario impliziert einen stark fragmentierten Markt mit vielen Teilnehmern,die standardisierte Lösungen anbieten.
Eine Welt,in der die Bauindustrie durch mehr Freiberufler und preiswerte Technologien noch stärker fragmentiert ist als heute. Die individuellen Kundenerwartungen sind sehr anspruchsvoll und können mit Technologien wie dem 3D-Druck individuell erfüllt werden.
Eine Zukunft, die sich einen zentralisierten Markt mit hoher Standardisierung der angebotenen Bauprodukte darstellt.
Eine Zukunft mit einem vollständig zentralisierten Markt, in dem die Kunden hohe Anforderungen an die Anpassungsmöglichkeiten stellen.
