Future

CLONE WARS

Wie sieht die Zukunft des Baus aus? Was würde passieren, wenn der Markt sehr fragmentiert wäre und nur standardisierte Lösungen angeboten würden?
March 11, 2021

Der Alarm beginnt, leise zu klingeln. Franz Betzinger versucht, seine Augen vorsichtig zu öffnen und blinzelt als die hellen Sonnenstrahlen, die durch die Jalousien sickern, ihn für einen Moment blenden. "Guten Morgen Franz! Es ist 6:45 Uhr und das Wetter ist wunderbar an diesem Mittwoch. "Es ist Zeit zum Aufstehen", sagt die angenehme Stimme seines Home Assistants. Franz gähnt und bewegt sich mit noch kaum geöffneten Augen vom Bett ins Bad. "Alexa, wie geht es Jane und den Kindern?", murmelt er. "Es geht ihnen gut. Sie haben gerade das Haus Deiner Schwiegereltern in London erreicht. Franzi und Kai spielen mit den neuen HoloLens." Franz erinnert sich daran, dass er seine Frau und Kinder vor etwa zwei Stunden verabschiedet hat. Er schlurft in die Küche und stellt einmal wieder fest, wie viel größer sie doch ist als die in seiner vorherigen Wohnung. "Unglaublich teuer", murmelt er wieder, während er über den überhöhten Preis dieser 100 Quadratmeter großen Wohnung, in die er vor sechs Monaten umgezogen ist, nachdenkt.

Nachdem Franz sein Müsli aufgegessen hat, befiehlt er Alexa, seinen Lieblings-Podcast auszuschalten. Wie an allen Werktagen wartet das fahrerlose Taxi bereits vor seinem Wohnhaus im Südosten Frankfurts. Während der fünfminütigen Fahrt wirft er keinen Blick auf sein Smartphone, sondern genießt es, die Wohnhäuser in dieser Gegend verträumt an sich vorbeiziehen zu sehen. Sie sind alle zellenähnlich gebaut und die meisten haben eine grüne Gartenfläche auf dem Dach. Abgesehen von ihrer Farbe, Größe und einigen anderen Einzelelementen sehen sie alle gleich aus; besonders für Franz als Eigentümer einer kleinen Baufirma namens Betzinger. Franz mag das homogene Aussehen seines Viertels, aber er ist immer noch fasziniert von dem individualistischeren Stil der wenigen Gebäude, die vor der neuen Regelung gebaut wurden. Nachdem die Bundesregierung das Bauspargesetz verabschiedet hatte, wurden Größe, Form und die verwendeten Materialien von Wohnhäusern aufgrund nachgewiesener Umwelt- und Wirtschaftlichkeitsvorteile vereinheitlicht. Kurz vor der Ankunft an der Hyperloop-Station Frankfurt-Ost trifft er den Vater von Franz‘ bestem Freund Mesut beim Joggen. Franz hat Mitleid mit ihm, da er gerade seinen Job als Architekt verloren hat. Architekten werden kaum noch benötigt, und die Umschulung zum Statiker ist teuer und zeitaufwendig. "Sie haben das Ziel erreicht. In fünf Minuten geht die nächste Hyperloop-Kapsel nach München", unterbricht die Stimme des Taxis Franz' Gedanken.

Wie immer verfolgt Franz auf der 20-minütigen Fahrt nach München und unter dem Rauschen der meist englischen Gespräche der anderen Pendler, die täglichen Nachrichten auf den Bildschirmen in der Hyperloop-Kapsel. "Frankfurt hat die Marke von sechs Millionen Einwohnern überschritten und ist damit die fünftgrößte Stadt Deutschlands", verrät die Schlagzeile, die Franz' Interesse weckt. Gerade rechtzeitig zu seinem Treffen mit Stefanie, der Vertriebsleiterin seines Unternehmens, erreicht er München um 7:50 Uhr. Die Firma Betzinger bietet Komplettlösungen für Wohnungen und Häuser an, bei denen verschiedene Subunternehmer die einzelnen Prozessschritte übernehmen. Sie ist auf Neubau spezialisiert und führt daher keine komplexen und zeitaufwendigen Sanierungsprojekte durch, wie dies bei einigen anderen Bauunternehmen der Fall ist. Ein solches Projekt kann bis zu drei Monate dauern, während der Neubau eine Dauer von vier Wochen nicht überschreitet. Darüber hinaus können sich Anträge auf Sanierungsgenehmigungen über mindestens zwei Monate ziehen, während die Genehmigungen bei Neubauten meist nur wenige Tage nach Beantragung über die Webseite des kommunalen Bauamts in Anspruch nehmen. Die zwölf Mitarbeiter der Firma Betzinger sind Projektleiter, Statiker sowie Ressourcen-, Logistik- oder Vertriebsmanager. Die physische Arbeit wird hauptsächlich von gemieteten Baurobotern ausgeführt, die von Freelancern betreut werden.

Franz betritt das Büro von Betzinger, begrüßt die Empfangsdame und fährt in den zweiten Stock, wo Stefanie ihn bereits an seinem Schreibtisch erwartet. "Hoffentlich hast du eine gute Nachricht für mich?", fragt er. "Von gut bis schlecht ist heute alles dabei", antwortet Stefanie lächelnd und informiert ihn über die aktuelle Umsatzentwicklung. Als er über ein abgelehntes Angebot im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung erfährt, macht er eine finstere Mine: "Wie ist es überhaupt möglich, dass die Euro-Bau einen so niedrigen Preis zu bieten hat? Wie können sie unser Angebot mit den aktuellen Beton- und Energiepreisen unterbieten? Ich meine, die Produktionskosten sind überall gleich!". Er diskutiert mit Stefanie, wie sich der starke Wettbewerb zwischen den verschiedenen Bauunternehmen in den boomenden Metropolen Deutschlands entwickeln konnte. Sie stellen dabei fest, dass vor allem auf spezifische Bauprozesse spezialisierte KMU die Marktnischen dominieren. "Haben sich eigentlich genügend Freelancer für die Baustelle in München-Pfaffenhofen beworben?" fragt Franz. "Bei iConstruct sind noch zwei offene Stellen online. Allerdings sollten alle offenen Stellen bis nächste Woche besetzt sein", berichtet Stefanie und nickt zuversichtlich. Franz hat bereits mehrmals über die Einstellung neuer festangestellter Mitarbeiter nachgedacht. Allerdings sind Freelancer, die mit dem Betrieb der Gebäuderoboter von Betzinger vertraut sind, die wesentlich billigere Alternative. Darüber hinaus ist er aufgrund der Unsicherheit über die zukünftige Nachfrage nicht bereit, die strengen arbeitsrechtlichen Vorschriften für Unternehmen mit Festangestellten einzuhalten.

Nach seinem Gespräch mit Stefanie und einer Tasse Kaffee setzt Franz seine VR-Brille auf und streicht mit einer Handbewegung durch die verschiedenen Projekte, an denen sein Unternehmen derzeit beteiligt ist. Solange das kleine Schild in seinem rechten oberen Sichtfeld grün leuchtet, gibt es keinen Grund zur Sorge: Alles läuft wie geplant. Bei einigen Projekten bleibt Franz hängen und informiert sich über das Tool zu den projektspezifischen Daten und Prognosen. Auch wenn die Aufgaben und Abläufe in der Regel gleich sind, hält er diese Routine für notwendig, da die Partner seines Unternehmens von Projekt zu Projekt wechseln. Franz bemerkt, dass eines der Bauvorhaben in seiner virtuellen Liste rot aufleuchtet. Eine automatische Stimme teilt ihm sofort mit, dass eine Baumaschine nicht mehr funktioniert: Einer der Arbeiter hat den Boden der Baustelle nicht richtig vorbereitet, was dazu geführt hat, dass die Maschine stecken geblieben und kaputt gegangen ist. Normalerweise muss Franz nicht vor Ort sein, da die Prozesse standardisiert sind und reibungslos ablaufen. Diesmal aber muss er zur Baustelle. "Der Kerl bekommt von mir mit Sicherheit eine schlechte Bewertung", murmelt er, während er ein Taxi bestellt.

Auf dem Weg zur Baustelle überprüft Franz schnell den Status auf seinem Handy. Zwei Subunternehmer haben ihre Arbeit beendet und Rechnungen eingeschickt. Nachdem er ihre Arbeit mit seinem VR-Livestream überprüft hat, genehmigt Franz ihre Leistungen und gibt die Zahlungen frei. Er bemerkt dabei, dass auch die verbleibenden acht Subunternehmer, die derzeit auf der Baustelle arbeiten, ihre Arbeit bis zum Ende des Tages abschließen sollten. Etwas entspannter über den Gesamtfortschritt des Projekts steigt er aus dem Taxi. Plötzlich spürt er Vibrationen im Boden und macht schnell zwei große Schritte zurück. Er hatte den ankommenden autonomen LKW, der eine der wichtigsten Wandkomponenten aus dem Fertigteilproduktion auf die Baustelle transportiert, nicht bemerkt. Das Fahrzeug passiert das Tor zur Baustelle und stoppt sanft. Sofort weist einer der Arbeiter auf der Baustelle einen Roboter an, die Entladung zu übernehmen. Auch wenn autonom arbeitende Maschinen und Roboter menschliche Arbeitskräfte von harter körperlicher Arbeit entlastet haben, ist das Image der Branche aufgrund der anstrengenden und schlecht bezahlten Arbeit auf der Baustelle nach wie vor schlecht.

In diesem Moment rufen die Techniker des Roboteranbieters an und erklären, dass sie in fünf Minuten vor Ort sind. Franz hofft, dass sie die Maschine schnell reparieren können, damit keine Zeit- und Kostenrisiken und somit Vertragsstrafen für Verspätungen entstehen. Da die gemieteten Maschinen hochkomplex sind und ein hohes Maß an operativer Expertise erfordern, ist Franz auf die Beurteilung der Spezialisten angewiesen. Durch den Druck, das Haus pünktlich fertig zu stellen, ist Franz allmählich gestresst. Er erinnert sich aber daran, dass das Mieten von Maschinen genau die Möglichkeit war, ein eigenes Bauunternehmen zu gründen, ohne viel Geld in den Kauf von Maschinen zu investieren. Dieser Gedanke beruhigt ihn ein wenig und lässt seinen Frust über die hohe Abhängigkeit von den verschiedenen Marktteilnehmern hinter sich, während er die Techniker beobachtet, wie sie den Roboter kompetent und innerhalb von 15 Minuten reparieren. Allerdings müssen die Arbeiter vor Ort dadurch länger bleiben und Franz ärgert sich über die teuren Überstunden, die er nun auszahlen muss.

Nach Feierabend besucht Franz seinen Vater in einer betreuten Wohnanlage. Sie erinnern sich gemeinsam daran, wie sich die Bauwirtschaft in den letzten Jahren verändert hat. Seinem Vater gefällt es nicht, wie sich die Baustelle zu einem werkseigenen Bauprozess entwickelt, bei dem alles automatisiert und auf die Sekunde genau abgestimmt ist. Franzis Vater erzählt seinem Sohn, wie aufgeregt er und seine Frau waren, als sie in ihr erstes Haus zogen, und wie traurig er ist, wie wenig sich die Leute um ihre Häuser kümmern seitdem die Leute aufgehört haben zu kaufen. Damals hatten die Menschen starke Bindung zu ihrem Zuhause; heute mieten die Menschen nur noch und sehen es als etwas, das so effizient wie möglich sein muss. Als er an diesem Abend schlafen geht, denkt Franz an die Branche, in der er arbeitet und wie sie sich verändert hat. Auch wenn er viele Teile der Branche nicht mag, ist er dennoch dankbar, dass er einen positiven Beitrag für die Gesellschaft, Umwelt und das Leben der Menschen leisten kann.

Dieses Szenario wurde während des Trendseminars - eines Kooperationsprojekts mit dem Center for Digital Technology and Management entworfen. Autoren: Ibrar Arshad, Kilian Egger, Lisa Neu, Marissa Rimmele, Saad Amin, Sebastian Sabbadini

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